Gedanken über das Lesen

2012 habe ich auf einem iPhone 4 mein erstes digitales Buch gelesen und bin seitdem Fan des Lesens auf Bildschirmen geworden. Ich kann mich noch genau an diesen einen Moment erinnern, als ich in meiner damaligen Wohnung saß und mich über eine Textstelle aus Netzkinder gegen Offliner amüsiert habe. 1337core (der Autor) weiß das wahrscheinlich gar nicht, aber das war für mich ein sehr prägender Moment. Ich habe mich so verstanden gefühlt und die Tatsache, dass ich gerade dieses Buch auf einem Telefon lesen konnte, hat den ganzen Moment noch eindrucksvoller für mich gemacht.

Tatsächlich liebe ich trotzdem gedruckte Bücher. Das Aufschlagen eines Papierbuches erfüllt den Raum ganz kurz mit diesem ganz besonderen Geruch. Ich habe jahrelang in der Universitäts- und Landesbibliothek in Darmstadt gearbeitet und erinnere mich gerne an die Gänge durch das Magazin zurück. Hunderte Meter an Büchern in geschlossenen Magazinen, teilweise nicht katalogisiert, die seit Jahren niemand mehr in der Hand hatte. Diese Räume verbreiten einfach ein ganz besonderes Flair.

Trotzdem greife ich heute im Zweifel immer zu meinem Smartphone oder seltener zu meinem Kindle. Meine Lesegewohnheiten haben sich seit 2012 auch stark verändert. Ich setze mich selten hin und lese 2h lang ein Buch, sondern quetsche Bücher in die kleinen freien Zeiten zwischen zwei Aktivitäten oder in diese Leerräume im Leben. Toilettenpausen, Zähneputzen, an der Kasse anstehen, während andere auf sozialen Netzen rumhängen, lese ich gerne. Oft münden diese kurzen Momente in längeren und ich erwische mich auf dem Rewe Parkplatz wie ich noch schnell ein paar Seiten mehr lese, weil ich noch wissen will wie es weiter geht oder ich sitze sehr lange auf dem Klo, aber das ist okay. Mit einem analogen Buch wäre das nicht passiert, weil ich es nicht dabei hätte. In diesen Situationen ist ein Buch für mich einfach unpraktisch. Ich möchte kein 800 Seiten Buch mit mir rumschleppen, damit ich es in 5 Minuten Pause rauskrame und dann wieder wegpacke. Mein Smartphone im Gegenzug ist sowieso immer dabei und die Kindle App, Play Bücher, Pocket und die SZ sind einen Tap entfernt. Aber auch abends im Bett oder morgens auf der Terrasse habe ich lieber ein digitales Endgerät neben mir liegen oder vor mir stehen, als ein schweres Buch oder eine Zeitung.

Ich lese heute auch mehr als früher, auch wenn es mehr über den Tag verteilt ist. Alleine in Pocket, das ist mein Read-it-later Dienst, habe ich 2017 1,3 Mio Worte gelesen. Plus die Zeitungsartikel aus den Apps, plus die Bücher.

Ganz oft höre ich Einwände, dass ich auf meinem iPhone keine Bücher lesen könne, weil der Bildschirm so klein sei oder das Licht einen die ganze Zeit blenden würde. Ich verstehe ja nicht wie man ein Buch verwenden möchte, das so viel schwerer ist, man umblättern muss, nicht wasserdicht ist, man abends immer ein Licht braucht. Vor allem mit meiner Buchhändlerin des Vertrauens führe ich diese Diskussion oft, wenn ich über die Straße gehe und mir im Laden mein neues Buch aussuche und mir dann per E-Mail zuschicken lasse. Für mich das Beste aus beiden Welten.

Du siehst das anders? Das ist okay. Hauptsache wir lesen alle mehr.

unsplash-logoClay Banks